Rede des Fraktionsvorsitzenden Ernst Prüsse in der Sitzung des Rates am 10. Dezember 2009

Herr Oberbürgermeister,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
der Rat der Stadt Dortmund wird heute Geschichte schreiben. Nicht nur Stadtgeschichte, sondern auch Rechtsgeschichte.
Wir stehen vor einem einmaligen Vorgang: es droht die Wiederholung einer kompletten Kommunalwahl:
der Oberbürgermeisterwahl, der Wahl zum Rat, der Wahlen zu den Bezirksvertretungen.
Wir entscheiden heute über das Schicksal von 96 Ratsmitgliedern und 228 Bezirksvertretern.
Wir entscheiden heute darüber, ob diese Menschen ihr Mandat behalten dürfen, das sie am 30. August errungen haben, oder ob sie sich einer Wiederholungswahl stellen müssen.
Zu dieser Frage hat jeder eine Meinung.
Diese Meinung beruht auf vier Aspekten: parteipolitischen, persönlichen, juristischen, moralischen.
Parteipolitisch ist die Sache klar.
Diejenigen, die die Wahl am 30. August verloren haben, drängen auf Wiederholungswahl.
Sie hoffen, dass die Wiederholungswahl anders und besser ausgeht, als die erste Wahl.
Sie hoffen, dass sie mehr Mandate erringen als vorher; sie hoffen, dass sie diesmal als Sieger da stehen.
Konsequenterweise haben diese Parteien und Gruppierungen bereits kurz nach der Wahl einen Einspruch gegen das Wahlergebnis eingelegt: die CDU, die FDP, die Linken, die FBI.
Die GRÜNEN haben interessanterweise keinen Einspruch erhoben. Sie haben nur öffentlich die Wiederholung der Oberbürgermeisterwahl gefordert.
Aber auch das war konsequent: denn die GRÜNEN haben die OB-Wahl verloren, bei der Ratswahl aber deutlich an Stimmen dazu gewonnen.
Dass die GRÜNEN jetzt doch die Rats- und BV-Wahlen wiederholen wollen, liegt daran, dass sie immer erklärt haben,
sich dem Votum des von der Stadt beauftragten Gutachters zu beugen.
Und da dieser jetzt alle drei Wahl für ungültig erklärt, können die GRÜNEN gar nicht mehr anders, als auch die anderen Wahlen für ungültig zu erklären.
Auch die SPD hat ein parteipolitisches Interesse.
Das aber ist nicht so eindeutig, wie bei den anderen Parteien.
Denn zunächst kann man festhalten, dass die SPD die Kommunalwahl gewonnen hat. Sie ist mit 37 Ratsmitgliedern die größte Fraktion.
Von daher müsste sie gegen eine Wahlwiederholung sein. Denn sie muss befürchten, die Wahl zu verlieren und ein schlechteres Ergebnis einzufahren.
Auf der anderen Seite hat die SPD am 30. August bereits ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Krieg eingefahren. Sie könnte also auch für Wahlwiederholung sein, in der Hoffnung, diesmal besser abzuschneiden.
Aber es gibt nicht nur parteipolitische, sondern auch persönliche Aspekte.
Die anderen Fraktionen und die Öffentlichkeit werfen der SPD und ihren Mandatsträgern seit Monaten „Wahlbetrug“ vor.
Aber Betrug setzt eine aktive Handlung voraus.
Und hier wiederhole ich, was ich hier bereits im September gesagt habe:
Die SPD hat im Wahlkampf niemanden belogen und niemanden betrogen.
Wir haben keine Haushaltsrisiken verschwiegen und kein falsches Bild der Finanzen unserer Stadt gezeichnet.
Und das ist mittlerweile bewiesen: Niemand hat der SPD irgendeinen Wahlbetrug nachgewiesen
– die Gutachter nicht und nicht einmal der Regierungspräsident.
Deshalb, meine Damen und Herren,
reagieren die Mitglieder der SPD-Fraktion so allergisch auf die Forderung nach Wahlwiederholung.
Es geht ihnen nicht darum, an Pfründen festzuhalten. Nein, sie kleben nicht an ihren Ratssesseln!
Sondern sie sind einfach nur empört, dass sie erneut in einen Wahlkampf ziehen müssen, obwohl sie ein reines Gewissen haben.
Sie sind erschüttert, dass sie dafür bluten müssen, dass der ehemalige Oberbürgermeister möglicherweise Informationen verschwiegen hat und dieses Verschweigen möglicherweise Auswirkungen auf das Wahlergebnis hatte.
Und damit bin ich bei den juristischen Aspekten der heutigen Diskussion.
Wir haben ein Gutachten von Prof. Beckmann vorliegen, das dem ehemaligen Oberbürgermeister das Verschweigen von Informationen vorwirft. Und dieses Verschwiegen habe Auswirkungen auf das Kommunalwahlergebnis gehabt.
Dieses Gutachten haben wir selber mit in Auftrag gegeben. Wir haben uns mit den anderen Fraktionen auf diesen Gutachter geeinigt – er war gewissermaßen der kleinste gemeinsame Nennern auf einer Liste von fünf Namensvorschlägen.
Aus der Tatsache, dass auch wir den Gutachter beauftragt haben, folgt aber nicht, dass wir seinem Ergebnis blind folgen.
Anders als die GRÜNEN, die immer gesagt haben, wir machen unsere Haltung von dem Gutachten abhängig, hat die SPD immer gesagt, dass das Gutachten eine von mehreren Beratungsgrundlagen ist.
Denn ein Gutachten ist ein Gutachten, es ist keine Urteil.
Und die Sache wird ja noch komplizierter: auch die Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik hat ein Gutachten in Auftrag gegeben.
An einen Experten, der genauso wissenschaftlich ausgewiesen ist, wie Prof. Beckmann.
Prof. Bätge, der Kommentator des Kommunalwahlgesetzes, kommt nun zu einem vollkommen gegensätzlichen Ergebnis als Prof. Beckmann.
Er sagt: der ehemalige Oberbürgermeister hat keine Informationen verschwiegen.
Oder wenn doch, hätte das angesichts des großen Stimmenabstands keine Auswirkungen auf das Wahlergebnis gehabt.
Und allen, die noch einmal sagen, das sei doch nur ein Gefälligkeitsgutachten, sage ich: mit der Diffamierung eines renommierten Verfassungsrechtlers kommen sie nicht weiter.
So einfach können sie die Beurteilung von Prof. Bätge nicht abtun. Das Gutachten von Prof. Bätge hat den gleichen Wert wie das von Prof. Beckmann.
Aber – wie ich vorhin schon sagte – ein Gutachten ist ein Gutachten, es ist keine Urteil.
Deshalb gab es in der SPD-Fraktion zahlreiche Stimmen, die eine höchstrichterliche Klärung der Vorgänge haben wollten – allen voran ich.
Eine Ratsentscheidung von einem einzelnen Gutachten abhängig zu machen, ist fahrlässig.
Aber dabei ein vollkommen gegensätzliches Gutachten zu ignorieren, ist mutwillig.
Natürlich: alle Einwender – CDU, FDP, Linke, Herr Münch und Herr Diegel – sind mit dem Beckmann-Gutachten einverstanden.
Sie haben überhaupt kein Interesse daran, einen gegenteilige Meinung zu hören.
Sie fühlen sich bestätigt, sie haben ihr Ziel erreicht.
Deshalb haben sie alle kein Interesse an einer gerichtlichen Überprüfung des Vorgänge.
Das ist parteipolitisch nachvollziehbar, aber es ist juristisch nicht korrekt.
Juristisch korrekt wäre, den ganzen Vorgang einem Gericht vorzulegen, das dann nach gründlicher Prüfung ein abgewogenes Urteil spricht.
Aber das geht nur, wenn jemand gegen die heutige Ratsentscheidung zur Ungültigkeit der Wahlen vom 30.8. klagt.
Darüber hat die SPD in den vergangenen Tagen gestritten.
Es ging nicht darum herauszufinden, wie man möglichst lange auf seinem Ratssessel sitzen bleiben kann.
Sondern es ging darum, wie man in dieser verfahrenen Situation das Urteil eines ordentlichen Gerichts erhält.
Wenn wir über das Schicksal von mehr als 300 Mandatsträgern in dieser Stadt entscheiden, kann man das nicht einfach von einem einzelnen Gutachten und dem parteipolitischen Interesse abhängig machen.
Deshalb hatte ich gesagt, ich will auf jeden Fall klagen.
Aber da kommt jetzt die moralische Komponente ins Spiel.
Als Fraktionsvorsitzender habe ich eine herausgehobene Position.
Ich repräsentiere nicht nur die Fraktion, sondern stehe auch in der vorderster Reihe bei der SPD.
Und in der SPD hat man sich nach langen Diskussionen entschieden, dass man schnellstmöglich eine Wiederholungswahl will.
Auch Oberbürgermeister Ullrich Sierau hat für eine schnelle Wiederholungswahl plädiert, weil er seine Legitimation in Frage gestellt sieht.
Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass der juristisch saubere Weg eine Gerichtsentscheidung wäre.
Deshalb habe ich großes Verständnis für alle diejenigen, die sagen,
ich kann den heutigen Ratsbeschluss nicht akzeptieren, sondern werde dagegen klagen.
Das sind wir eigentlich auch den Gutachtern schuldig, die jetzt damit leben müssen, dass sie zwei entgegengesetzte Einschätzungen in die juristische Welt gesetzt haben.
Nur ich selbst werde eine solche Klage nicht anstrengen.
Herr Oberbürgermeister,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich habe eingangs gesagt, dass der Rat der Stadt Dortmund wird Geschichte schreiben, nicht nur Stadtgeschichte, sondern auch Rechtsgeschichte.
Ich bin weder Historiker noch Jurist. Ich bin Elektriker.
Also solcher lernt man Strippen ziehen und Stromschläge einstecken.
Ich habe in den letzten Wochen zahlreiche Schläge einstecken müssen.
Aber nicht nur ich, die Mitglieder der SPD-Fraktion und die gesamte Dortmunder SPD hat zahlreiche Schläge einstecken müssen.
Aber wir sind eine Partei, die mit solchen Schlägen umgehen kann. Wir sind krisenerfahren und stehen immer wieder auf.
Wir sind eine Partei, deren Kampfeswillen in schwierigen Situationen besonders angestachelt wird.
Deshalb haben wir keine Angst vor dem bevorstehenden Wahlkampf.
Wir werden die Wählerinnen und Wähler erneut davon überzeugen, dass nur wir die Ideen und Konzepte für die Zukunft dieser Stadt haben.
Und mit Ullrich Sierau haben wir einen Oberbürgermeister, der für einen neuen offenen und transparenten Politikstil steht. Das hat er in den letzten Wochen und Monaten zur Genüge bewiesen.
Ulli Sierau und die SPD haben Dortmund zu dem gemacht, was diese Stadt heute ist:
eine pulsierende Ruhrgebietsmetropole, die weitaus besser dasteht – auch finanziell – als viele vergleichbare Städte.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
- Es gilt das gesprochene Wort -