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18.11.2010

Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden Ernst Prüsse in der Ratssitzung am 18.11.201

 , SPD-Ratsfraktion
SPD-Ratsfraktion



Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren,

wenn der Vorsitzende der größten Ratsfraktion einen Bürgerentscheid fordert, ist das – gelinde gesagt – ungewöhnlich.

Denn ein Bürgerentscheid ist eigentlich in politisches Instrument der Bürgerschaft und nicht des Rates.

Normalerweise gibt es Bürgerentscheide, wenn sich die Bürger gegen Ratsbeschlüsse wehren, die ihnen nicht gefallen.

Es gab Bürgerentscheide zur Schließung von Schulen und Bibliotheken, zum Bau von Rathäusern, zu Wohnungsprivatisierungen - um nur einige Beispiele zu nennen.

Sie alle waren eine Reaktion der Bürgerschaft auf Ratsbeschlüsse - sie waren gewissermaßen „von unten“ initiiert.

Dass ein Bürgerentscheid „von oben“, also auf Beschluss des Rates, stattfindet, ist eher selten.

In NRW gab es solche „Ratsbürgerentscheide“ seit 1995 erst ganz wenige.

Einer davon fand ganz in der Nähe statt: in Hamm wurde 2006 über den Lippesee abgestimmt.

Ein Ratsbürgerentscheid ist auch deshalb so selten, weil er eigentlich systemwidrig ist.

Denn warum sollte der Rat sein Entscheidungsrecht an die Bürgerschaft abtreten, wenn er es auch selbst ausüben kann?

Das ist ja seine Aufgabe: Entscheidungen zu treffen.
Dafür ist er gewählt, dafür haben ihn die Wählerinnen und Wähler legitimiert.

Aber es reicht nicht, Entscheidungen treffen zu dürfen, man muss es auch tun!

Und da gibt es manchmal Situationen, in denen Räte entscheidungsunfähig sind.

Es gibt manchmal keine klare Mehrheit für oder gegen etwas, es besteht manchmal ein massiver Entscheidungsstau.

Das war zum Beispiel in Neuss der Fall, wo man jahrzehntelang darüber stritt, ob die dortige Straßenbahn durch die Einkaufsmeile fahren soll oder nicht.

Der Rat war in dieser Frage quer durch alle Fraktionen gespalten, deshalb hat man dort die Bürger entscheiden lassen.

Ergebnis: die Bahn bleibt.

Und beim Flughafen Dortmund war die Situation bis vor kurzem ähnlich.

Der Rat der Stadt Dortmund war viele Jahre nicht in der Lage, Entscheidungen zu den Entwicklungsperspektiven des Dortmunder Flughafens zu treffen.

Weder zu einer Veränderung der Betriebszeiten noch zu einem Ausbau der Start- und Landebahn konnten sich Mehrheiten zusammen finden.

Es gab Beschlüsse aller Parteien, die nicht übereinander zu bekommen waren.

Eine Kompromissfindung schien nicht möglich.

In der Flughafenfrage herrschte im Dortmunder Stadtrat eine massive Entscheidungsblockade!

Um diese Entscheidungsblockade aufzulösen, habe ich vor wenigen Wochen die Forderung nach einem Ratsbürgerentscheid erhoben.

Ich hatte die Hoffnung, durch eine Votum der Bürgerschaft könnte die Selbstblockade aufgelöst werden.

Und mit dieser Position kann ich mich auf höchste Autoritäten berufen. Ich zitiere Sigmar Gabriel, den SPD-Parteivorsitzenden:

„Alle vier Jahre ein Kreuzchen machen ist doch nicht der Gipfelpunkt der Volksherrschaft. Volksentscheide sind manchmal sogar der einzige Weg, Politik aus ihrer Selbstblockade zu befreien.“

So war mein Vorschlag zu verstehen: als Maßnahme, uns aus einer jahrelangen Selbstblockade zu lösen.

Und genau das ist mir ja auch gelungen:
Wir haben jetzt doch einen Kompromiss ausgehandelt, für den es eine Ratsmehrheit gibt.

Deshalb ist der Ratsbürgerentscheid als Blockadelöser nicht mehr nötig.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

jetzt könnte man natürlich auf dem Standpunkt stehen:
lasst doch die Bürger trotzdem abstimmen.

Schließlich handelt es sich beim Flughafen um eine höchst umstrittene Frage, die die Menschen emotional bewegt - fast so, wie Stuttgart 21.

Es waren interessante Reaktionen, die auf meinen diesbezüglichen Vorschlag vor einigen Wochen kamen.

Es waren vor allem interessengeleitete Reaktionen.

Freunde des Flughafens haben gewarnt:
Eine Abstimmung für den Flughafen geht verloren, denn nur die Gegner gehen hin; die sind gut organisiert, die sind persönlich betroffen, die bestimmen das Ergebnis!

Es wurde sogar eine professioneller Umfrageforscher aus Dortmund befragt, der das bestätigte.

Gut Informierte haben sogar auf Hamm hingewiesen, wo OB und Parteien für den Ausbau des Lippesees waren und dann den Ratsbürgerentscheid verloren haben.

Wenn das alles stimmt, dann müssten die Flughafengegner doch entschieden für einen Bürgerentscheid sein.

Sind sie aber nicht!

Im Gegenteil: sie sind genau so vehement gegen einen Bürgerentscheid wie die Freunde des Flughafens.

Ihre Sorge:
Es dürfen auch Menschen abstimmen, die nicht in Flughafennähe wohnen, und die würden ja für den Flughafen stimmen.

Einige haben deshalb gesagt: eigentlich dürften nur die betroffenen Stadtbezirke abstimmen.

Und ganz Schlaue haben gesagt, man müsste auch die anliegenden Stadtteile der Nachbarstädte miteinbeziehen.

Das alles geht natürlich nicht.

Wenn der Rat der Stadt Dortmund einen Ratsbürgerentscheid beschließt, kann er das nur für sein eigenes Stadtgebiet tun und nicht in Nachbarstädte reinregieren.

Er kann aber auch nicht einzelne Stadtbezirke von einer Abstimmung ausschließen, weil er für die ganze Stadt zuständig ist.

Überhaupt führt uns das Kriterium der Betroffenheit nicht weiter.

Denn wer ist vom Flughafen betroffen?

Nur Menschen, die in der Einflugschneise wohnen?
Oder nicht vielleicht auch Menschen, die beim oder am Flughafen arbeiten, ganz egal wo sie wohnen?

Und sind nicht vielleicht auch Menschen weit über Dortmund hinaus betroffen, weil sie zum Beispiel regelmäßige Nutzer des Flughafens sind?

Könnte man in diesem Sinne nicht sogar sagen, von Stuttgart 21 sind auch wir Dortmunder betroffen, weil wegen Stuttgart 21 das Geld für die Sanierung unseres Bahnhofs fehlt?

Also:
man kommt mit dem Kriterium der Betroffenheit nicht weiter, und deshalb bleibt es dabei: ein Ratsbürgerentscheid, den der Rat der Stadt Dortmund beschließt, kann nur in ganz Dortmund stattfinden.

Doch dazu kommt es nicht.

Denn kaum jemand hat meinen Vorschlag unterstützt.

Nicht die CDU, die – siehe Stuttgart – sowieso ein gestörtes Verhältnis zur Bürgerbeteiligung hat.

Aber auch nicht – und das ist besonders bemerkenswert - die Grünen.

Denn es sind die Grünen, die penetrant die Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung wie eine Monstranz vor sich her tragen.

Ich zitiere aus der Zeitung vom Montag:
„Die Grünen in NRW haben eine "Demokratie-Offensive" angekündigt. Der Parteivorsitzende Sven Lehmann sagte beim kleinen Parteitag der Grünen in Mülheim, das "neue Aufwachen der zivilen Bürgerkultur" beim Protest gegen das Großprojekt Stuttgart 21 müsse genutzt werden. Das Engagement der Bürger sei ein "Geschenk für die Demokratie". Die Grünen wollen nun erreichen, dass die Hürden für Volksentscheide deutlich gesenkt werden.“

Ich zitiere Johannes Remmel, den grünen Umweltminister in NRW:
„Konsens fällt nicht vom Himmel. Man muss die Bevölkerung während der Planung viel enger einbeziehen, mit ganz neuen Formen der Bürgerbeteiligung - und nach der Entscheidung ebenso.“

Ich zitiere Silvia Löhrmann, die grüne Bildungsministerin: „Wir sehen die Beteiligung der Bevölkerung als Bereicherung – nicht als Gefahr.“

Das sind grüne Sonntagsreden!
Wenn es darauf ankommt, solche Bekenntnisse in die Wirklichkeit umzusetzen, wollen die Grünen davon nichts mehr wissen.

Einen Bürgerentscheid zum Flughafen lehnen sie entschieden ab. Das strittigste Thema überhaupt in Dortmund wollen sie nicht in die Hände der Bürgerschaft legen.

Für die Grünen gibt es Bürgerbeteiligung nur dann, wenn sie vorher wissen, was dabei herauskommt.

Es gibt viele Argumente für und gegen den Flughafen.

Mich persönlich überzeugen die Argumente für den Flughafen, aber andere sind von den Gegenargumenten beeindruckt.

Ich habe keine Ahnung, wer die Mehrheit hat.

Und deshalb weiß ich auch nicht, wie ein Bürgerentscheid zum Flughafen ausgehen würde.

Ich bin mir durchaus bewusst, dass der Flughafen einen Bürgerentscheid verlieren könnte. Er könnte aber auch gewinnen.

Aber das gehört zur direkten Demokratie, dass man nie vorher weiß, wie eine Abstimmung ausgeht.

Und deshalb ist es heuchlerisch, wenn man sonntags mehr Bürgerbeteiligung fordert und wochentags dagegen ist!

Meine sehr geehrte Damen und Herren,

Ich habe deutlich gemacht, dass in Dortmund weder die Gegner noch die Befürworter des Flughafens einen Bürgerentscheid wollen.

Ich habe ausgeführt, dass ein Ratsbürgerentscheid nur dann angebracht ist, wenn es gilt, eine Entscheidungsblockade zu lösen, wir aber beim Flughafen keine Entscheidungsblockade mehr haben.

Damit ist klar, dass es keinen Ratsbürgerentscheid zum Flughafen gibt.

Der Rat kann und wird heute eine Entscheidung treffen.

Der Flughafen hat eine Entwicklungsperspektive.